Ein Dorf auf dem Weg in die digitale Zukunft

Viele ländliche Regionen sehen sich der Herausforderung gegenüber, dass ihre Einwohnerzahl schrumpft. Durch diesen Rückgang steigen in kleinen Orten die Pro-Kopf-Kosten für viele Einzelhändler, Telefonanbieter, Verkehrsbetriebe oder Ärzte. Ein Geschäft oder Dienstleistung. In diesen Regionen anzubieten, rentiert sich nicht mehr.

Die Gemeinde Borchen mit dem Ortsteil Etteln gehört zum Kreis Paderborn und liegt in Nordrhein-Westfalen. Der Ortsteil Etteln hat 1.850 Einwohner:innen (Stand 2022) und liegt gut 10 Kilometer vom Oberzentrum Paderborn entfernt. Es gibt eine Schule mit Platz für bis zu 6 Klassen, einen katholischen Kindergarten für 75 Kinder und einen provisorischen kommunalen Kindergarten mit Platz für 25 Kinder.

Idyllisch im Altenau Tal gelegen, kämpfte auch Etteln damit, Neubürger:innen für das Dorf zu gewinnen. Im Jahr 2012 drohte dann die Schließung des Grundschulstandortes, da die Mindestanzahl an Schüler:innen nicht mehr erreicht wurde. Mit dem Zweck, sich für den Erhalt der Grundschule einzusetzen, gründete sich der Verein Etteln-aktiv. Der Verein setzte sich über die Ebenen der Gemeindeverwaltung, der Bezirksregierung bis zur Landesregierung in Düsseldorf erfolgreich für die Erhaltung des Schulstandorts ein.

Logo Borchen-Etteln

Dorfwerkstatt „Anschwung-Initiative“

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Ausgehend von dieser Initiative und um nachhaltig Verbesserungen für den Ort zu erwirken, starteten die Bürger:innen die sogenannte „Anschwung-Initiative“. Über die Deutsche Kinder- und Jugendhilfe nahmen die Ettelner:innen die Möglichkeit der Förderung einer Prozessbegleitung wahr. Dies war der Startschuss für einen Strategieprozess, der auf einer breiten Bürgerbeteiligung basiert. Früh wurde erkannt, dass nur ein attraktives Dorf mit guter digitaler Infrastruktur Neubürger:innen gewinnen kann.

Digitalisierungsstrategie

Etteln erkannte schnell, dass die Digitalisierung große Potenziale für Menschen auf dem Lande bietet und entwickelten das Thema Digitalisierung zum Markenkern des Ortes. Innerhalb definierter Anwendungsfelder sollen Digitalisierungsmaßnahmen getroffen werden. Die Digitalisierungsstrategie ist in zehn fachliche Anwendungsfelder strukturiert. Diese geben einen besseren Überblick auf Chancen und Risiken der Digitalisierung und erleichtern die Identifizierung von Bereichen, in denen Handlungsbedarf besteht. In jedem Anwendungsfeld wurden gemeinsam Digitalisierungsziele definiert, um alle Aktivitäten zur Digitalisierung Ettelns auf ein langfristiges, gemeinsames Zukunftsbild auszurichten: das erste digitale Musterdorf Deutschlands zu werden.

Erste Schritte in die Digitalisierung - Infrastruktur

Im Jahr 2018 wurde deutlich, dass vor der Realisierung digitaler Anwendungen die digitale Infrastruktur ausgebaut werden muss. Die Gemeinde Borchen entschied in Zusammenarbeit mit der Deutschen Glasfaser, die Ortsteile der Gemeinde mit Glasfaseranschlüssen auszustatten. Allerdings erhielten nur rentable Haushalte einen direkten Internetanschluss, während etwa 50 Hausbesitzer und landwirtschaftliche Betriebe im Ortsteil Etteln kein Angebot erhielten. Die Gemeinde Borchen entschied sich gegen eine Beteiligung an einem Projekt zur Schließung der digitalen “weißen Flecken”. Die Schätzung für den Anschluss von 74 Haushalten belief sich auf 5,13 Millionen Euro, wovon die Gemeinde Borchen einen Eigenanteil von 513.000 € hätte tragen müssen. Angesichts dieser hohen Kosten für eine vergleichsweise geringe Anzahl von Haushalten wurde keine Lösung für die Häuser in den Außenbezirken von Borchen und Etteln gefunden, um schnelles Internet zu erhalten.

Ehrenamtliches Engagement für eine digitale Teilhabe

In der Dorfgemeinschaft Borchen-Etteln wurde eine Lösung gefunden: Die Häuser im Außenbereich wurden eigenständig von der Dorfgemeinschaft mit Glasfaseranschlüssen versorgt. Insgesamt schlossen sich 47 Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe dem Projekt an, und im ersten Halbjahr 2020 wurden 30 Kilometer Glasfaser verlegt. 195 Grundstückseigentümerinnen und -eigentümer unterzeichneten Genehmigungsvereinbarungen und 60 Freiwillige leisteten 3.400 Stunden Eigenarbeit, wobei 20 Maschinen kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Die Gesamtkosten des Projekts beliefen sich auf 95.000 Euro, von denen die Gemeinde Borchen 50.000 Euro übernahm.

 

Wäre ein Ausbau in Borchen-Etteln mit öffentlichen Mitteln gefördert worden, hätten die Kosten 2,7 Millionen € betragen. Nun verfügt jedes Haus und jeder landwirtschaftliche Betrieb “bis zur letzten Milchkanne” in Etteln über einen schnellen Internetanschluss.

Dorf-App

Ein nächster Schritt auf dem Weg zum digitalen Musterdorf war die Einführung einer digitalen Dorf-App. Hierüber können Bürger:innen sich vernetzten, Nachrichten an die Dorfgemeinschaft übersandt werden oder auch Veranstaltungen kommuniziert werden.

Um Bürger:innen zu erreichen die kein Smartphone nutzen, wurde in der Dorfbäckerei – dem einzigen Geschäft im Dorf mit kleinem Lebensmittelgeschäft und somit zentrale Anlaufstelle – eine digitale Anzeigentafel im Schaufenster aufgestellt. Auf ihr werden die Neuigkeiten aus der Dorf-App abgebildet.

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Digitale Mitfahrbank mit Dorf-App verbunden

Das Thema Mobilität ist auf dem Land ein großes und zum Teil einschränkendes Thema. Als nächstes Digitalisierungsprojekt wurde eine digitale Mitfahrbank installiert. Neben einer Bank im Dorfkern wurde ein Display installiert. Über Knöpfe kann aus vorgegebenen Destinationen ein Ziel gewählt werden. Sobald ein Knopf gewählt wird, erscheint auf einer Anzeige über der Bank das ausgewählte Fahrtziel. Zeitgleich erhalten Nutzer der Dorf-App eine Push-Benachrichtigung, über die Mitfahranfrage.

Moderne Mobilität

Insbesondere zur Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements und der Vereine, aber auch zur Verbesserung der Mobilität der Bürger:innen wurde mit einer weiteren Förderung das mit dem Internet vernetzte und kostenlos buchbare e-Dorfauto ettCAR angeschafft.

Dieses kann von registrierten Ettelner:innen genutzt werden.

In dieser Form ist das Fahrzeug im Kreis Paderborn und darüber hinaus einmalig. 160 registrierte Fahrer: innen, 800 Buchungen und 45.000 Kilometer Laufleistung nach gut zwei Jahren sind ein Beleg für die Akzeptanz dieses Fahrzeugs in der Bevölkerung. Ergänzt wurde das elektrische Mobilitätskonzept durch ein ebenfalls kostenlos buchbares Elektro-Lastenrad.

Digitaler Dorf Zwilling

Die bis hierher umgesetzten Digitalisierungsprojekte sind sogenannte Silolösungen, oder auch Insellösungen. Sie sind nicht miteinander verbunden. Auf einer Open Source Data Urban Plattform können diese digitalen Insellösungen zusammengeführt werden.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat im Jahr 2022 die Förderinitiative „Land.Funk – Anwendungen von Gigabitnetzen für ländliche Räume“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit sechs Partnern hat sich die Gemeinde Borchen mit dem Pilotprojekt “Digitaler Dorf Zwilling Etteln” um eine Förderung beworben und wurde als Förderprojekt ausgewählt. Auf der Internationalen Grünen Woche 2023 in Berlin erhielten die sieben Projektpartner den Förderbescheid des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Höhe von insgesamt 1,3 Millionen Euro aus den Händen des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir. Im Rahmen des Projektes wird die Open Source Urban Data Plattform aufgebaut und ein digitaler Zwilling des Dorfes erstellt.

Steckbrief Digitalisierung im Dorf

  1. Durch Dorfwerkstätten begleiteter Strategieprozess
  2. Zukunftsvision des Dorfes entwickeln
  3. Digitalisierung durch erste kleinere Projekte starten
  4. Flächendeckender Glasfaserausbau
  5. Open Source Urban Data Plattform
  6. Einbindung von Sensoren und aufsetzen von Use Cases
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